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Kinder brauchen Grenzen? - Eine Löwengeschichte
Ich persönlich habe einen Jungen zu Hause, der das mit den Grenzen jahrelang immer wieder massiv austesten musste. Nicht etwa, weil ich inkonsequent bin… nein, der Grund ging mir dann doch endlich nach einigen Jahren auf… und nun übe ich… jeden Tag… mit meinem großen Lehrer.
Worum es geht:
Ein recht verbreiteter und sicherlich gut gemeinter Rat für Eltern und Betreuungspersonal lautet: Kinder brauchen Grenzen!
Gemeint ist hier meist ein vorgegebener Rahmen in dem sich Kinder bewegen dürfen um Klarheit und Sicherheit zu spüren. Begründet sind diese wohl gemeinten Methoden im Grunde auf theoretischer – dem reinen Logos entsprechender – Basis, das heißt wir überlegen uns mit welcher Taktik wir vorgehen wollen und entwickeln Notfallpläne, falls das Kind nicht hört… wie wir Druck aufbauen können, um eine Grenze durchzusetzen usw. Hinzu kommt, dass der Fokus dabei meist auf das Kind gerichtet, also nach außen gerichtet wird.
Als Ziele sehe ich bei dieser Herangehensweise zwei Kategorien. Erstens das Kind soll vor einer möglichen Gefahrenquelle geschützt werden und zweitens wir wollen unsere (wieder theoretischen) Idealvorstellungen einer perfekten Kindererziehung durchsetzen (inkl. unserer Vorstellung davon, wie ein Kind ideal auf das Leben vorbereitet wird).
Das ist doch alles nachvollziehbar…? Was will ich denn jetzt wieder anders machen?
Nun ja, mir geht es hier und heute lediglich um den Ansatz, also die Grundeinstellung VOR dem Umsetzen der Regeln, Notfallpläne und dem restlichen theoretischen Handbuchwissen.
Wie es die Tiere machen:
Schauen wir uns solche Tiere an, welche – wie wir – in Herden oder Rudeln leben, um Hinweise darauf zu bekommen, wie auch wir vielleicht vor unserer künstlichen Sozialisierung interagiert hätten. Bevor wir den Kontakt zu unseren naturgegebenen Instinkten verloren haben.
Hier kommt mir das Bild der Löwin in den Sinn (oder auch männliche Vertreter des Rudels), die geduldig und liebevoll die energiegeladenen Jungtiere auf sich spielen lässt und dabei ruhig und gelassen bleibt. Sie beißen ihr mit ihren scharfen Zähnen in den Schwanz und ziehen daran, beißen ihr in die Ohren und lassen nichts aus, denn auch sie testen ihre Grenzen. Hierbei geht es in allererster Linie aber sicherlich um körperliche Grenzen und auch das trainieren und ausprobieren mit den Geschwistern für den späteren Ernstfall.
Und: hey, sie haben einfach Spaß und leben intensiv im Moment!
Was wir noch beobachten können ist, dass die Löwin besonders übermütige Kandidaten liebevoll aber bestimmt zurechtweist oder wenn ihr alles zu viel wird, einfach aufsteht und weg geht.
Und nun ist die Interpretation dieses Verhaltens ein interessanter Schritt aus dem wir sowohl hilfreiches und wirklich voranbringendes als auch massiv und schlichtweg falsche Schlüsse ziehen können.
Was denkt die Löwin?
Ich hatte angekündigt, dass wir uns einmal die Grundeinstellung VOR der Reaktion anschauen wollen. Also frage ich: hat diese Löwin sich mit dem Vater der Jungen zusammen (als die Kleinen geschlafen haben) einen Plan zurecht gelegt, wie sie mit dem stürmischen Toto umgehen sollen, wenn er mal wieder über die vorgegebenen Stränge schlägt? Und wenn er einfach nicht hören will, was wir uns dann für eine Strafe überlegen? Weniger Milch vielleicht…
Ich denke ihr versteht wohin ich will.
Also das wohl nicht. Dann bleiben noch zwei weitere Möglichkeiten, soweit ich das sehe:
1. Die Löwin lässt die Jungtiere alles mögliche mit sich machen, weil die Jungtiere als die Zukunft des Rudels mehr wert sind als sie selbst und sie daher ihre Schmerzen ignoriert bis sie dann so wütend ist, dass sie es nicht mehr aushält und davon stapft.
(Ja, lasst das mal wirken…)
2. Die Löwin ist zu jeder Zeit im Kontakt mit ihrer Würde und ihren Bedürfnissen. Liebevoll und geduldig ist sie, weil sie weiß wie Kinder sind und sie Ihre eigenen eventuellen Kindheitstraumata mutig, mit viel Zeit und liebevoll sich selbst gegenüber hat aufweichen lassen.
Wenn sie ein Jungtier zurechtweist oder davon geht, tut sie dies lediglich aus dem Grund, da sie ihre eigenen Grenzen kennt. Sie handelt aus ihrer Würde heraus.
Mein Vorschlag ist recht simpel und doch sehr viel tiefgreifender, als sich oberflächlich vermuten lässt:
Wenn wir es schaffen, aus unserer Würde heraus zu handeln, können unsere Kinder uns hören und wir sind ihnen Vorbild für eine der wichtigsten Werkzeuge/Lektionen im Leben.
Aus meiner Würde heraus handeln:
Als bildliche Hilfe möchte ich hier beispielhafte Situationen des täglichen Lebens nutzen, welche wir alle in der einen oder anderen Form kennen.
Wir alle wollen etwas:
Kind kommt zur Bezugsperson und will ein Eis/ was anderes spielen/ woanders hin/ dringend was erzählen, obwohl unsere Aufmerksamkeit gerade anderweitig okkupiert ist usw.
Nun haben wir – wie immer – die Wahl: zu erst den Fokus auf‘s Kind und sein Bedürfnis, oder kurz durchatmen, die Gesamtsituation erfassen und gelassen reagieren.
Zur Gesamtsituation gehört meines Erachtens nach als erstes, ehrlich mit mir zu sein, was ich denn eigentlich will. Wenn ich im Gespräch mit einem anderen Menschen erst ausreden möchte, da ich sonst vielleicht den Faden verliere, darf ich zu meinem Bedürfnis stehen und meinem Kind klar machen, dass ich es lieb habe und auch gehört habe. Um einen Moment des Wartens zu bitten ist ok! Ein abwertendes ‚Wenn Erwachsene sich unterhalten, stört man nicht!‘ ist dann gar nicht mehr notwendig.
Wenn ich hingegen meine eigene Notwendigkeit übergehe, zeige ich dem allzeit lernenden Wesen immer wieder, dass man sich selbst und seine Bedürfnisse für die der anderen zu übergehen hat, damit alles läuft. Und im Endeffekt: wer hat denn bitte etwas davon, wenn ich selbst immer eingeengter und letztendlich frustrierter werde? Als Leittier bin ich Vorbild… je mehr Selbstliebe ich übe, umso mehr kann davon nach außen strahlen.
Anschließend gehört zu einem guten Überblick auch, dass ich mir ganz einfach klar mache, an welchem Ort und zu welcher Zeit wir uns befinden. Wenn wir schon einen langen Tag hinter uns haben und am nächsten Morgen der Wecker wieder klingelt: für wen wäre es dann wirklich von Vorteil noch ein Eis und noch eine Runde auf dem Spielplatz zu drehen? Wenn die kleine Seele anschließend auf dem Heimweg völlig übermüdet und reizüberflutet schreit und unwillig mit allem ist, zeigt es uns ganz deutlich die Grenzüberschreitung – nämlich ihre eigene: Überforderung.
Haben wir vorher einfach nur nachgegeben, weil wir nicht wollten, dass unser Kind uns doof findet? Dennoch ein Eigentor.
Oder – meine alte Übung – wir sagen Stop!, aber eben nur weil wir theoretisch glauben, dass es das Richtige wäre, aber es nicht wirklich in uns spüren und schon gar nicht damit im Reinen sind … weil wir natürlich nur das Beste für unsere wertvollen Kleinen wollen.
Alles was sie von uns wollen, ist ehrlich mit uns selbst zu sein und aus diesem Kontakt heraus zu agieren. Darum piksen sie immer wieder, schreien, drücken Knöpfe, fordern uns…
Ach, was für tolle Wesen.
Zusatz
An dieser Stelle noch ein ergänzender Aspekt zur Natur der Kinder:
Nicht nur unsere Würde wollen sie uns (wieder-) finden lassen, sondern uns beibringen, dass wir im Team handeln sollten und dann einfach unschlagbar sind.
Also lasst uns doch unsere Kinder nicht immer wieder außerhalb von uns sehen (wie es die Pädagogik und Sozialwissenschaft leider ungewollt etabliert hat), sondern lasst uns ihnen zuhören!
Sie haben uns Wichtiges mitzuteilen!
Notfallhilfe:
Und wenn Du mal wieder ganz und gar am Zweifeln bist, wo der Weg lang geht, was eine respektvolle Reaktion wäre, und zwar Dir selbst und Deinem Kind gegenüber, kannst Du Dir diese sehr hilfreiche Frage stellen:
WAS WÜRDE DIE LIEBE JETZT TUN?
In diesem Sinne: lass uns mutig bleiben und unserer Freude folgen – sie ist auch die Tür zu unseren Kindern!
Fühl` Dich gedrückt,
Stephanie