Vielleicht hast auch Du schon einmal diese Szene beobachtet: ein Hundebesitzer schmeißt seinen Hund auf den Rücken und drückt ihn in umgekehrter Weise auf die Erde. Er oder sie schaut dem Tier mit ernstem Blick in die Augen und lässt es kurz darauf wieder aufstehen.

Bei aufmüpfigen Hunden – so die Mundpropaganda – sollte diese Methode helfen, die Rangordnung zu klären. Denn anscheinend hat es der Hund ja einfach nicht begriffen: nämlich der Mensch ist hier Chef!

Aber kann denn das so einfach sein?

Und wenn ja, dann könnte es doch auch ganz einfach auf alle anderen Lebensbereiche übertragen werden, oder? Denn wir sind ja ebenfalls Rudeltiere und Rangordnung läuft auch noch auf unserem genetischen Programm.

 

Im normalen Leben

Versuchen wir nun einmal das vorgeschlagene Korrigierungsverhalten auf alltägliche soziale Situationen zu übertragen. Ein Test auf Wirksamkeit:

Deine Kollegin erfüllt nicht ihr vorgegebenes Pensum an Arbeit, sodass sich dies auf den Arbeitsablauf aller anderen negativ auswirkt. Es kommt zum vollen Einsatz des Chefs: Er springt auf sie und drückt sie zu Boden. Weiß sie jetzt endlich wieder, was ihre Aufgaben sind und erfüllt sie gern für ihren Chef? Oder hat sie Angst?

Noch ein Bild:

Auch Kinder parieren manchmal nicht. Muss ich ausführen, was passiert, wenn wir sie im anscheinend passenden Moment zu Boden drücken und ihnen drohend in die Augen schauen? Das Kind muss einfach nur kapieren, wem es zu folgen hat?

Irgendetwas stimmt doch hier nicht, oder?

 

Wenn es nicht 1:1 übertragbar ist, ist es nicht natürlich

Sprich: dann entspringt die Methode nicht der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten. Und diesen unterliegen wir nun einmal. Wir sind Teil von ihr.

Mal wieder gehe ich mit Dir ein paar Schritte zurück um der Wahrheit auf die Schliche kommen zu können. Hunde kommen von den Wölfen… aber heute am Beispiel der Pferde erfasst:

Eine Leitstute hat deswegen ihre Position, weil sie sich von allen Stuten der Herde das größte Vertrauen verdient hat. Ihre Integrität, Weitsicht und sozialen Fähigkeiten haben ihr dieses Vertrauen eingebracht. Keine Gewalt und keine Unterdrückung!

Und die Tiere einer Herde entscheiden sich freiwillig ihr zu folgen. Sie wählen sie sozusagen.

Auch der Leithengst hat seine Aufgaben. Er hält die große Familie zusammen und verteidigt nach Außen. Auch er dominiert nicht durch Aggressivität.

 

Gewalt ist größtenteils ein menschliches Phänomen

Nun fragst Du vielleicht, wie das mit den Zurechtweisungen ist. Vor allem die Heranwachsenden testen gern ihren Spielraum immer wieder neu aus. Eine Aufgabe der ranghohen Tiere ist es, diese in der Form zurechtzuweisen, dass die sozialen Grundregeln der Gruppe gewahrt werden. In diesem Rahmen kann das heranwachsende Wesen aber auch seine Qualitäten und Talente testen oder überhaupt erst heraus finden. Das ganze Spiel dient also auch der Findung des eigenen Platzes innerhalb der Gruppe. Passend zum angeborenen Potenzial werden die Grenz-Tester liebevoll und bestimmt von den Gruppenleitern dabei begleitet, ihren Platz zu finden. Auch wenn dies bedeutet, eine neue Herde zu gründen.

Nur in Ausnahmefällen – ausgelöst durch Überpopulation oder im Paarungsrausch – entstehen Gewalt und Aggression gegen Artgenossen bei den Tieren. Aber das nicht, weil Tiere bestimmen und herrschen oder eben gezielt unterdrücken wollen.

 

Der neue Weg

Das Prinzip des Leitens durch Vertrauen und Integrität kann auf alle in Gruppen lebenden Tiere übertragen werden. Soweit scheint dies also ein natürliches Prinzip zu sein.

Nun wieder der Test. Können wir es übertragen?

Auf der Arbeit. Die Kollegin kommt nicht mit ihrem Arbeitspensum hinterher. Dies beeinflusst den gesamten Arbeitsablauf und Dinge geraten ins Stocken. Der Chef nimmt dies war und begleitet sie eine Weile. Dabei fühlt er sich so weit in die Situation ein, wie er braucht um zu verstehen was sie braucht, um sich wohler und sicherer zu fühlen. Oder vielleicht auch eine Änderung der Aufgaben? Entsprechend ihren wahren Begabungen und Talenten bekommt sie passendere Aufgaben und Bereiche zugeteilt, ist wesentlich freudiger und produktiver bei der Arbeit und bereichert nun das Team und vor allem ihr eigenes Leben um ein vielfaches.

 

Und das Kind?

Was für ein Kind wächst heran, wenn es seinen Talenten entsprechend begleitet wird? Wenn seine Umgebung Vertrauen in seine und ihre Ideen, Impulse und Interessen hat? Und wenn bei alledem das Vertrauen in uns Erwachsene begründet wird auf unser Vertrauen in uns selbst? In welcher Welt leben wir dann?

Versuche es Dir nur einmal vorzustellen…

Eine einzige Entspannung…

 

Résumé

Aus biologischer Sicht ist Tieren, wie Menschen, eine gewisse Rangordnung angeboren. Dies begründet sich darauf, dass je nach Tierart jede Position in der Gruppe ein- oder mehrfach besetzt werden möchte, damit sie zusammen eine Gruppe bilden können. Dank der angeborenen Gaben bietet sich immer eine bestimmte Position an, um dem Allgemeinwohl zu dienen.

Ich möchte nun nicht von jedem einzelnen Menschen erwarten (vor allem wenn es um Kinder geht), dass sie die perfekten Führungspersönlichkeiten sein sollen. Das macht keinen Sinn gemäß dem Prinzip der angeborenen Gaben.

Vielmehr möchte ich dazu anregen einfach zu überdenken was Zwischenmenschlichkeit noch bedeuten kann? Oder eben wie am Anfang besprochen: Zwischen-Mensch-und-Tier.

Denn die Beziehung zu meinem Tier nährt unseren Alltag, nicht die Kontrolle meines Tieres.